Napoleon I.

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EINLEITUNG

Napoleon I. (1769-1821), ursprünglich Napoleon Bonaparte oder Buonaparte, Kaiser der Franzosen (1804-1814/15). Obwohl Napoleon als Alleinherrscher wieder die Monarchie einführte, vollendete er in vielerlei Hinsicht die gesellschaftlichen Reformideen der Französischen Revolution. Ferner war er unbestritten ein militärstrategisches Genie und der größte Feldherr seiner Epoche. Der auf seine Anregungen entstandene Code civil oder Code Napoléon war das erste moderne bürgerliche Gesetzbuch und fand durch Napoleons Eroberungszüge in weiten Teilen Europas Verbreitung.

Napoleon wurde am 15. August 1769 in Ajaccio auf Korsika als Sohn von Carlo Maria Buonaparte, eines einflussreichen Landadligen, geboren. Von 1779 bis 1785 besuchte er die Militärschulen von Brienne und Paris und trat im Oktober 1785 als Leutnant in die Artillerie ein.

Im Zuge der Revolution avancierte er 1791 zum Oberstleutnant der Korsischen Nationalgarde. 1793 brach der französisch erzogene Napoleon mit der korsischen Unabhängigkeitsbewegung unter Pasquale Paoli und übersiedelte mit seiner Familie auf das französische Festland. Dort wurde er, nun im Rang eines Hauptmanns, der Belagerungsarmee vor Toulon zugeteilt, das sich mit Unterstützung der englischen Flotte gegen die Republik gestellt hatte. Durch einen gewitzten Plan des jungen Offiziers glückte die Rückeroberung des Marinestützpunktes. Dieser Erfolg brachte ihm im Alter von 24 Jahren die Beförderung zum Brigadegeneral ein und bildete den Auftakt einer beispiellosen militärischen Karriere.

Nach dem Sturz Robespierres wurde Napoleon, Anhänger der Bergpartei, im Juli 1794 für zwei Wochen inhaftiert und im September 1795 aus der Armee entlassen; aber bereits im Oktober wurde er wieder zurückberufen, um den Aufstand der Pariser Royalisten gegen das Direktorium niederzuschlagen. Nach seinem Sieg über die Aufständischen wurde er am 5. Oktober 1795 zum Befehlshaber der „Armee des Innern" ernannt.

1796 vermählte sich Napoleon mit Joséphine de Beauharnais. Die Heirat mit einer Aristokratin eröffnete ihm den Zugang zur angestrebten herrschenden Gesellschaftsschicht.

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ERSTE FELDZÜGE

Am 2. März 1796 wurde Napoleon zum Oberbefehlshaber der französischen Armee in Italien ernannt. Nach vier siegreichen Schlachten gegen Österreich und seine Verbündeten (siehe Koalitionskriege) schloss er eigenmächtig einen Waffenstillstand und im Oktober 1797 den Frieden von Campo Formio mit Österreich. Frankreich erhielt den Großteil des eroberten Territoriums in Oberitalien. Diese militärischen und politischen Erfolge, nicht zuletzt auch die Kriegsbeute in Höhe von mehreren Millionen Francs, begünstigten Napoleons späteren Aufstieg zur Macht. Im Dezember 1797 beuftragte ihn das Direktorium mit dem Oberbefehl über die französische Armee, die gegen England eingesetzt werden sollte, entsandte ihn jedoch wenig später mit einem Expeditionskorps gegen Ägypten. Nach anfänglichen Erfolgen wurde die französische Flotte am 1. August 1798 von der englischen unter Admiral Horatio Nelson bei Abukir vernichtend geschlagen. Napoleon kehrte im Oktober 1799 nach Frankreich zurück, die mehrmals geschlagenen französischen Truppen erst 1801.

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NAPOLEONS HERRSCHAFT ALS ERSTER KONSUL UND ALS KAISER

Nach seiner Rückkehr gelang Napoleon nicht zuletzt dank seiner Popularität mit dem Staatsstreich vom 9./10. November 1799 (18./19. Brumaire nach dem Revolutionskalender) der Sturz des Direktoriums. Napoleon setzte eine provisorische Regierung ein, in der er selbst das Amt des Ersten Konsuls übernahm. Am 24. Dezember 1799 wurde die provisorische Regierung durch die Konsulatsverfassung bestätigt; Napoleon wurde zum Ersten der drei Konsuln ernannt, zunächst für zehn Jahre. Diese neue, auf Napoleon ausgerichtete Konsulatsverfassung bedeutete praktisch eine Rückkehr zu einer monarchischen Regierungsform und verlieh Napoleon nahezu diktatorische Regierungsgewalt. 1802 ließ er sich zum Ersten Konsul auf Lebenszeit ernennen, und am 2. Dezember 1804 krönte er sich selbst in der Kathedrale Notre-Dame in Paris zum erblichen Kaiser der Franzosen und ließ sich anschließend vom Papst weihen. Im Mai 1805 krönte er sich in Mailand außerdem zum König von Italien.

Innenpolitisch initiierte Napoleon eine umfassende Reform von Verwaltung, Justiz und Erziehungswesen und schuf ein streng zentralisitisch aufgebautes Staatswesen. Seine bedeutsamste und folgenreichste Neuerung war indessen die Einführung eines neuen bürgerlichen Gesetzbuches, des Code civil, nach seinem Urheber auch Code Napoléon genannt. Es führte gemeinsam mit sechs weiteren Gesetzbüchern zu einer Vereinheitlichung des Rechtswesens und schrieb wichtige Rechtspositionen der Revolution fest, wie die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz und die Religionsfreiheit. In der Praxis waren diese Grundrechte allerdings erheblich eingeschränkt, und obrigkeitliche Willkür und drakonische Zensur waren an der Tagesordnung. Gefürchtet war besonders die Strenge des Polizeiministers Joseph Fouché. Napoleon besetzte die meisten wichtigen Staatsämter mit Mitgliedern seiner Familie und treuen Ergebenen und begründete mit der Ehrenlegion (1802) eine neue Kaste der Nobilität, die sich schnell mit den Repräsentanten des alten Erbadels zu mischen begann und die künftig tonangebende Gesellschaftsschicht bildete.

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AUSSENPOLITIK UND EROBERUNGSKRIEGE

Im Juni 1800 entschied Napoleon mit seinem Sieg in der Schlacht von Marengo über die Österreicher den zweiten Koalitionskrieg für Frankreich; im Frieden von Lunéville bestätigten Österreich und seine verbündeten deutschen Fürsten im Februar 1801 die Abtretung des linken Rheinufers und erkannten die Batavische, die Zisalpinische, die Helvetische und die Ligurische Republik an; und im März schlossen Frankreich und England den Frieden von Amiens. Damit waren nicht nur die Grenzen Frankreichs (vor allem die Ostgrenze am Rhein) gesichert, sondern zugleich die politische Geographie in Europa stabilisiert, die allerdings in der Folge gerade durch die napoleonischen Feldzüge noch erheblich verändert werden sollte.

Nach dem Verlust des linken Rheinufers erfolgte im Reich 1803 mit dem Reichsdeputationshauptschluss die territoriale Neugliederung Deutschlands; sie fand ihren Höhepunkt in der Gründung des Rheinbundes, die am 12. Juli 1806 unter der Führung Napoleons erfolgte und die die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches nach sich zog.

1805 hatten sich England, Russland und Österreich zu einer neuen Koalition, der dritten, zusammengeschlossen. Ursprüngliche Pläne einer Invasion in England gab Napoleon auf und stellte seine Streitkräfte den österreichischen und russischen Truppen entgegen, die er in der Dreikaiserschlacht von Austerlitz am 2. Dezember 1805 vernichtend schlug. 1806 eroberte er das Königreich Neapel und setzte seinen älteren Bruder Joseph Bonaparte als König ein. Außerdem wandelte er die Batavische Republik in ein Königreich um, das sein Bruder Louis Bonaparte erhielt. Mit seinem Sieg über die vereinten Preußen und Russen in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 hatte Napoleon endgültig die uneingeschränkte Vorherrschaft in Mitteleuropa gewonnen. Nach einem weiteren Sieg über die russische Armee bei Friedland im Juni 1807 gewann er Zar Alexander I. als Verbündeten. Im Frieden von Tilsit vom Juli 1807 verlor Preußen einen erheblichen Teil seines Territoriums, das nun den von Napoleon nach dem Friedensschluss von Tilsit neu errichteten französischen Vasallenstaaten, dem Königreich Westfalen und dem Herzogtum Warschau, zugeschlagen wurde; in Westfalen setzte Napoleon seinen Bruder Jérôme als König ein. Außerdem besetzte Napoleon Preußen.

Unterdessen hatte Napoleon eine Blockade gegen den Export britischer Waren in das restliche Europa, die so genannte Kontinentalsperre, errichtet, die allerdings wenig Wirksamkeit zeigte. Erfolgreicher verliefen Napoleons Unternehmungen auf der Iberischen Halbinsel: 1807 geriet Portugal, 1808 Spanien unter französische Herrschaft. Joseph Bonaparte erhielt den spanischen Königsthron, Neapel wurde Napoleons Schwager Joachim Murat zugesprochen. Der Krieg in Spanien kostete Frankreich indessen 300 000 Menschenleben, verursachte enorme Kosten und trug letztlich zur Schwächung der napoleonischen Herrschaft bei. Napoleon konnte in Spanien die französische Herrschaft nie ganz durchsetzen, und 1813 wurden die französischen Truppen endgültig aus Spanien verdrängt.

1809 schlug Napoleon die Österreicher erneut bei Wagram und zwang sie zum Frieden von Schönbrunn, in dem Österreich weitere Gebiete an Frankreich abgeben musste. Napoleon ließ sich außerdem von Joséphine scheiden und vermählte sich 1810 mit der Habsburgerin Marie Louise, der Tochter des österreichischen Kaisers Franz I. In diese Verbindung mit einem der ältesten und mächtigsten Herrscherhäuser Europas setzte Napoleon große Hoffnungen hinsichtlich einer neuen europäischen Herrscherdynastie, die sich allerdings nicht erfüllen sollten; außerdem glaubte er, durch diese Ehe Österreich in der Zukunft von antinapoleonischen Koalitionen fernhalten zu können.

1810 annektierte Napoleon Bremen, Lübeck und weitere Teile Norddeutschlands sowie – nach der erzwungenen Abdankung Louis Bonapartes – das gesamte Königreich Holland, womit sein Imperium seine größte Ausdehnung erfuhr.

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NAPOLEONISCHE HERRSCHAFT IN EUROPA

In fast allen Gebieten, die unter napoleonischer Herrschaft standen, wurde die Staatsverfassung geändert und der Code Napoléon als Zivilrecht eingeführt. Das bedeutete für große Teile der betroffenen Bevölkerung erstmals eine Garantie bürgerlicher Rechte. Auch in Deutschland wurden die Reformen von demokratisch gesinnten Kräften vielerorts begrüßt, andererseits befürworteten diese Kreise zugleich einen deutschen Nationalstaat, was sie wiederum in Gegensatz zu Napoleon brachte. Im Rahmen eines romantisierten Patriotismus sollten sie eine wichtige Rolle in den Befreiungskriegen spielen. Insgesamt wuchs der Widerstand gegen die französische Fremdherrschaft in ganz Europa, wurde aber zunächst noch in Schach gehalten (z. B. Andreas Hofer in Tirol).

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NAPOLEONS NIEDERGANG

1812 war das Jahr der Wende in Napoleons politischem und militärischem Schicksal. Entscheidend war Napoleons Feldzug nach Russland. Nachdem es u. a. über die Kontinentalsperre mit Alexander I. zum Bruch gekommen war, marschierte Napoleon mit seiner Grande Armée in Russland ein und führte sie bis vor die Tore Moskaus. Der Brand der Stadt, von den Einwohnern selbst gelegt, wurde zum Fanal für den Niedergang des Feldherrn und Kaisers.

Die völlige Erschöpfung der Ressourcen durch die häufigen Kriege, rigorose Steuerpolitik und Polizeiherrschaft hatten Napoleon längst bei der französischen Bevölkerung in Misskredit gebracht. Der sieglose und verlustreiche Rückzug seiner Truppen im russischen Winter brachte sie weiter gegen ihn auf und rief die europäischen Herrscher gegen Napoleon auf den Plan. Als Erste verbündeten sich Preußen und Russland. Österreich, England, Schweden und Bayern schlossen sich an. Dieser Übermacht erlag das napoleonische Heer schließlich trotz heftiger Gegenwehr in der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813.

Anfang 1814 zogen die Verbündeten unter der Führung des preußischen Generals Blücher in Paris ein. Napoleons Offiziere verweigerten die weitere Gefolgschaft, am 2. April 1814 setzte der Senat den Kaiser ab, und nachdem die Verbündeten auch einen Rücktritt zugunsten seines Sohnes abgelehnt hatten, dankte Napoleon am 6. April 1814 ab. Er erhielt die Mittelmeerinsel Elba als souveränen Besitz und durfte seinen Kaisertitel behalten. Seine Ehegattin Marie Louise und ihr gemeinsamer Sohn wurden von seinem Schwiegervater, Kaiser Franz I. von Österreich, in Gewahrsam genommen. Napoleon sah die beiden niemals wieder.

Napoleon selbst kehrte im März 1815 nach dramatischer Flucht noch einmal nach Paris zurück, für die „Herrschaft der Hundert Tage". Es gelang ihm zwar, durch das Versprechen einer neuen, demokratischeren Verfassung, erneut die Veteranen der alten Feldzüge um sich zu sammeln, seine Friedensinitiative bei den Verbündeten schlug hingegen fehl. Die vereinten preußischen und englischen Streitkräfte unter Führung von Wellington und Blücher bereiteten den napoleonischen Truppen in der Schlacht von Waterloo am 18. Juni 1815 eine vernichtende Niederlage. Napoleon wurde auf die winzige englische Insel Sankt Helena im Südatlantik verbannt, wo er am 5. Mai 1821 an Magenkrebs starb. Seine Gebeine wurden 1840 in den Pariser Invalidendom überführt.

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NACHWIRKUNG UND LEGENDE

Die Erfolge als Feldherr und der Pomp, mit dem Napoleon seine Herrschaft zur Schau stellte und sich selbst zum Begründer einer Blütezeit Frankreichs stilisierte, begünstigten das Entstehen einer Legende bereits zu seinen Lebzeiten. Auf Sankt Helena wurde sie von ihm selbst dahin gehend erweitert, dass er die Errungenschaften der Französischen Revolution bewahrt und Europa ihre Segnungen beschert habe. Trotz seiner teils tyrannischen Herrschaft, die der demokratischen Zielsetzung der Revolution zuwiderlief, trifft dies in gewissem Maß zu. Auf dem Wiener Kongress 1814/15 erreichten die Siegermächte unter Führung Metternichs eine weitgehende Restauration der alten Monarchien Europas und unterdrückten die Freiheitsbewegungen mit drakonischen Gesetzen. Durch Napoleons Eroberungszüge war jedoch das Ideengut bürgerlicher Reformen weit verbreitet worden, und so gehen die Julirevolution in Frankreich 1830, die Märzrevolution in Deutschland 1848 und andere Erhebungen indirekt auf sein Wirken zurück.

Ebenfalls zu Lebzeiten Napoleons setzte das Echo auf seine Person in Kunst und Literatur ein. In Frankreich herrschten heroisierende Tendenzen vor, wie sie Jacques Louis Davids Gemälde repräsentieren, doch fand er z. B. auch unter den deutschen Dichtern der Epoche zum Teil begeisterte Zustimmung (Hölderlin: Bonaparte, 1798). Während der Mythos als Nationalheld der Franzosen weiter fortwirkte (Victor Hugo, Alexandre Dumas Père), bezog die Nachwelt im Ausland vermehrt kritische Postionen (George B. Shaw: The man of destiny, 1897; Arnold Zweig: Bonaparte in Jaffa, 1939). Der französische Regisseur Abel Gance erwies ihm mit seinem monumentalen Stummfilm Napoléon (1923-1927) nochmals eine patriotisch gefärbte Hommage. Insgesamt erweist es sich auch heute, im Licht einer fortgeschrittenen Geschichtswissenschaft, als schwierig, ein Phänomen wie Napoleon gültig zu beschreiben und zu bewerten.

 

Napoleonische Kriege

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EINLEITUNG

Napoleonische Kriege, diejenigen Kriege, die Napoleon I. im Anschluss an die Koalitionskriege (1792-1807) zwischen 1808 und 1812 zur Aufrechterhaltung seiner hegemonialen Position in Europa führte.

1808 stand Napoleon auf der Höhe seiner Macht in Europa; aber der Niedergang seiner Macht begann sich bereits abzuzeichnen. Ursache dafür war zum einen das zunehmende Nationalbewusstsein in den von Napoleon beherrschten Staaten Europas, das Napoleon nicht zuletzt selbst durch die Einführung des Code civil in weiten Teilen Europas heraufbeschworen hatte; zum anderen trug der hartnäckige Widerstand Großbritanniens, das vor dem Hintergrund seiner Vorherrschaft zu See immer wieder neue Koalitionen gegen Napoleon organisierte und unterstützte, zum Sturz Napoleons bei.

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SPANISCHER UNABHÄNGIGKEITSKRIEG

In Spanien wurde Napoleon zum ersten Mal mit dem erwachenden Nationalbewusstsein konfrontiert. 1808 setzte Napoleon in Spanien nach dem Sturz der spanischen Bourbonen seinen Bruder Joseph Bonaparte als König ein. Die Spanier erhoben sich und vertrieben Joseph aus Madrid. Es folgte ein jahrelanger Kleinkrieg (siehe Spanischer Unabhängigkeitskrieg) zwischen den Franzosen, die Joseph wieder auf den spanischen Thron bringen wollten, und den Spaniern, die von britischen Truppen unter Arthur Wellesley unterstützt wurden. Die Franzosen wurden schließlich besiegt und erlitten hohe Verluste, die Napoleons Schlagkraft in Mitteleuropa schwer beeinträchtigten. Der Aufstand der Spanier gegen die französische Fremdherrschaft ermutigte auch andere europäische Nationen, ihrem Beispiel zu folgen.

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ERHEBUNG ÖSTERREICHS

Ab Ende 1808 bereitete Österreich, gestützt auf die patriotische, antinapoleonische Stimmung im Land, einen neuen Krieg gegen Frankreich vor, wobei die österreichische Regierung auf Unterstützung seitens der deutschen Staaten in Form einer gleichzeitigen Erhebung gegen Napoleon hoffte. In Tirol, das seit 1805 unter der Herrschaft des mit Napoleon verbündeten Bayern stand, erhob sich 1809 Andreas Hofer gegen die bayerische Fremdherrschaft und schlug im Mai 1809 ein bayerisches Heer. Am 9. April hatte Österreich Bayern den Krieg erklärt; die österreichische Hauptarmee marschierte in Bayern ein, nahm München, wurde dann aber von Napoleon am 20./22. April 1809 bei Abensberg, Landshut und Eggmühl geschlagen. Napoleon rückte nach Wien vor und besetzte die Stadt am 13. Mai; am 21./22. Mai wurde er bei Aspern von den Österreichern geschlagen, die er selbst am 5./6. Juli bei Wagram erneut besiegte. Daraufhin schloss am 12. Juli Österreich in Anbetracht der Tatsache, dass offensichtlich weder die deutschen Staaten, allen voran Preußen, noch Russland zur Unterstützung Österreichs bereit waren, mit Frankreich den Waffenstillstand von Znaim. Der folgende Friede von Schönbrunn vom 14. Oktober 1809 bedeutete für Österreich erhebliche Gebietsverluste, u. a. Salzburg und das Innviertel, Teile Galiziens und seine adriatische Küste. Um sich eine Ruhepause zu verschaffen und neue Kräfte gegen Napoleon sammeln zu können, näherte sich Österreich nun auf Betreiben des österreichischen Staatskanzlers Fürst von Metternich Frankreich an.

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DER RUSSLANDFELDZUG NAPOLEONS

Trotz seines Bündnisses mit Frankreich, das seit dem Frieden von Tilsit von 1807 bestand, schied Russland Ende 1810 aus der von Napoleon angeordneten und gegen Großbritannien gerichteten Kontinentalsperre aus. Im Frühjahr 1812 zog Napoleon, um Zar Alexander I. zur Rückkehr zur Kontinentalsperre und zum Bündnis mit Frankreich zu zwingen, im Herzogtum Warschau die Grande Armée zusammen, insgesamt über 600 000 Mann; im Juni 1812 marschierte er mit der Grande Armée in Russland ein. Großbritannien und Schweden schlossen sich am 18. Juli mit Russland in einem Bündnis gegen Frankreich zusammen.

Angesichts des französischen Vormarsches zogen sich die Russen unter General Barclay de Tolly planmäßig und unter Verfolgung der Taktik der verbrannten Erde zurück. Am 17./18. August nahm die Grande Armée nach einem verlustreichen Sieg über die Russen Smolensk, und am 7. September schlug sie, ebenfalls unter großen Verlusten auf beiden Seiten, die Russen bei Borodino. Am 14. September 1812 besetzte Napoleon Moskau. Am 18. Oktober 1812 steckten die Russen Moskau in Brand, zugleich verweigerte sich Alexander I. Friedensverhandlungen mit Napoleon; daraufhin sah sich Napoleon angesichts der katastrophalen Versorgungslage seiner Armee zum Rückzug Richtung Westen gezwungen (ab dem 19. Oktober). Von der Hauptarmee erreichten nur kleine Teile deutschen Boden; der Großteil fiel Kälte, Hunger und ständigen Angriffen russischer Truppen zum Opfer; zudem musste die Grande Armée Mitte November bei Smolensk noch eine verheerende Niederlage hinnehmen, und Ende November erlitt sie beim Übergang über die Beresina hohe Verluste. Napoleon selbst verließ Anfang Dezember seine Truppen und war am 18. Dezember in Paris.

Am 30. Dezember 1812 vereinbarten die Generäle York (Preußen) und Diebitsch (Russland) die Konvention von Tauroggen und bahnten damit das Bündnis zwischen Russland und Preußen gegen Frankreich an, die fünfte Koalition, die am 26. Februar 1813 in Kalisch offiziell abgeschlossen wurde. Preußen, getragen von patriotischer Begeisterung, begann mobilzumachen; am 27. März 1813 erklärte Friedrich Wilhelm III. Frankreich den Krieg und leitete damit formell die Befreiungskriege gegen Frankreich ein.

Nationaltheater

Nationaltheater, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland entwickelte, vom Théâtre Français und der Comédie française inspirierte Idee für stehende Theater zur Förderung und Pflege nationaler Dramatik und Schauspielkunst. Damit wurde erstmals der Zusammenhang hergestellt zwischen einer bürgerlich-aufklärerischen Nationalidee und deren Formung bzw. Darstellung auf der Bühne. Diese sollte sich gegen die Vorherrschaft der französischen Kultur auf einem bürgerlichem Fundament entwickeln, um so die kulturelle Einigung der Nation in Deutschland zu fördern.

Einen ersten und gescheiterten Versuch, ein privat finanziertes Nationaltheater in Deutschland einzurichten, unternahmen Konrad Ekhof, Johann Friedrich Löwen und Gotthold Ephraim Lessing 1767 in Hamburg; der Betrieb musste schon zwei Jahre später wegen finanzieller und organisatorischer Probleme eingestellt werden. In der Folgezeit wurden dann Hoftheater in Nationaltheater umbenannt, so 1776 das Wiener Burgtheater durch Joseph II. Die mit der Idee verbundenen Ziele allerdings blieben im Wesentlichen unverwirklicht, da der Adel und nicht das Bürgertum die Finanzierung und Unterhaltung der Theater sicherstellte und damit die Möglichkeit bekam, Einfluss auf die Inszenierungspraxis zu nehmen. 1779 gründete Kurfürst Karl Theodor mit Unterstützung Wolfgang Heribert Freiherr von Dalbergs (1750-1806) und August Wilhelm Ifflands das Mannheimer Nationaltheater, an dem u. a. Friedrich Schillers frühe Dramen Die Räuber und Die Verschwörung des Fiesco zu Genua uraufgeführt wurden. Das Berliner Hoftheater avancierte 1786 zum Nationaltheater. Was seinen Stellenwert für die damalige Theaterkultur betrifft, kann auch das zwischen 1791 und 1817 unter der Leitung Johann Wolfgang von Goethes stehende Weimarer Hoftheater als Nationaltheater gelten; erst 1918 wurde es dann in Deutsches Nationaltheater umbenannt.

Im 20. Jahrhundert kam es in ganz Europa (vornehmlich in Nord- und Südosteuropa) zur Gründung von Nationaltheatern; u. a. gründete Lawrence Olivier 1962 das National Theatre in London.


Verfasst von:
Jörg Gallus

 

Naturphilosophie

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EINLEITUNG

Naturphilosophie (griechisch philosophia physikae; lateinisch philosophia naturalis), Disziplin der Philosophie, die nach der Natur in ihrem Wesen und ihrer Gesamtheit fragt. Die Frage nach der Gesamtheit unterscheidet sie von der Naturwissenschaft, die jeweils einzelne Aspekte untersucht. Darüber hinaus bemüht sich die Naturphilosophie um die Klärung der Inhalte von Naturvorstellungen sowohl der Naturwissenschaft als auch des Alltagsverstandes. In der Neuzeit lassen sich vier naturphilosophische Hauptfragen unterscheiden: Ausgehend von Immanuel Kant beschäftigte sie sich in der Neuzeit zunächst mit den Bedingungen der Erkenntnismöglichkeit von Natur; in diesem Zusammenhang steht die Frage nach dem Verhältnis des Natürlichen zum Nichtnatürlichen, also zu Kultur, Geschichte und Technik sowie zum Geistigen und Göttlichen. Im Gefolge Baruch Spinozas und Friedrich Wilhelm Joseph Schellings bemühte sich Naturphilosophie zweitens um die Ausformulierung einer allgemeinen Philosophie des Seins. In Anknüpfung an die Ergebnisse der Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts versuchte sie drittens die Grundlagen einer induktiven Metaphysik zu entwickeln. Im 20. Jahrhundert schließlich begreift sich Naturphilosophie häufig als Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaft.

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GESCHICHTE

Innerhalb der Geschichte der Naturphilosophie werden als Hochphasen die frühgriechisch-ionische Naturphilosophie, die Naturphilosophie der Renaissance sowie die Philosophie der Romantik unterschieden. In der ionischen Naturphilosophie, der ersten abendländischen Philosophie überhaupt, wurden einzelne Elemente als zentrale Prinzipien des Kosmos betrachtet. So sah Thales von Milet im Wasser, Anaximenes in der Luft und Heraklit im Feuer den Urgrund aller Dinge. Das frühgriechische Naturdenken unterscheidet sich dabei insoweit vom neuzeitlichen Naturbegriff, als das griechische Substantiv physis, welches sich mit dem lateinischen natura nur sehr unzureichend übersetzen lässt, weniger einen Zustand der Welt bezeichnen wollte, als vielmehr eine Weise ihrer Entwicklung; für die vorsokratisch-ionische Naturphilosophie war die Frage nach der Natur (physis) eines Phänomens verbunden mit dem spezifischen Weg, dem Prozess und dem Ziel seines Werdens. Der seit der klassischen Antike weitgehend in Vergessenheit geratenen Prozessgedanke rückte erst wieder in Alfred North Whiteheads Hauptwerk Process and reality. An Essay in Cosmology (1929; Prozeß und Realität) in den Mittelpunkt naturphilosophischer Spekulation.

In der Renaissance wurde die durch die mittelalterliche Philosophie stark abgewertete Natur erneut zu einem zentralen Gegenstand der philosophischen Betrachtung; insbesondere bei Giovanni Pico della Mirandola. Seine zentrale These lautete, dass wir über die Naturbetrachtung zur Kenntnis des Göttlichen gelangen können. Ihre dritte Blütezeit erlebt die Naturphilosophie um 1800, zur Zeit des Deutschen Idealismus und der Frühromantik. Den wichtigsten Beitrag liefert Friedrich Wilhelm Schelling, der eine Identität von Vernunft und Natur behauptete. In der Natur seien, so Schelling, unbewusst die selben Kräfte am Werk, die sich bewusst in der menschlichen Vernunft ausdrücken würden. Nachdem sie vom naturwissenschaftlich geprägten Geist der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert als irrational disqualifiziert worden war, wurde die Naturphilosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der globalen ökologischen Krise wieder aktuell. Im 18. und 19. Jahrhundert lauteten die zentralen, von Naturphilosophen erörterten Begriffe Raum, Zeit und Materie. Heute stehen demgegenüber Leben, Chaos und Selbstorganisation im Mittelpunkt der Betrachtung.


Verfasst von:
Andreas Hetzel

 

Novelle

Novelle, Prosa-, selten auch Verserzählung von mittlerem Umfang, die sich durch straffe Handlungsführung, formale Geschlossenheit und thematische Konzentration auszeichnet. Gegenstand ist, nach einer Definition Johann Wolfgang von Goethes, „eine sich ereignete unerhörte Begebenheit", eine Begebenheit also, die einen gewissen Anspruch auf Wahrheit erhebt und von etwas Neuem oder Außergewöhnlichem erzählt. Als charakteristische Merkmale novellistischen Erzählens gelten, ohne jedoch normative Verbindlichkeit beanspruchen zu können, die Zuspitzung auf einen „Wendepunkt" hin (entsprechend der Peripetie im Drama) und die Strukturierung durch ein sprachliches Leitmotiv oder durch ein Dingsymbol (Paul Heyses „Falkentheorie"). Häufig werden Novellen zu Zyklen verbunden oder einzelne Novellen in Rahmenerzählungen eingebettet: Techniken, die es ermöglichen, die Erzählsituation sowie die jeweiligen zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge zu beleuchten.

Die Gattungsgeschichte der europäischen Novelle beginnt um 1350 mit Giovanni Boccaccios Decamerone, einer durch Rahmenhandlung verknüpften Sammlung von 100 Erzählungen („Geschichten, Fabeln, Parabeln oder wirkliche Begebenheiten, wie wir sie nennen wollen"). Die Konzeption des Decamerone wurde für Jahrhunderte Vorbild der europäischen Novellendichtung. In England nahm Geoffrey Chaucer die zyklische Form Boccaccios auf, allerdings zum Teil in Versen (Canterbury Tales, Ende 14. Jahrhundert), in Frankreich folgten die anonymen Cent nouvelles nouvelles (um 1460) sowie Marguerite de Navarres Heptaméron (1559) dem Modell. Matteo Bandello (Novelle, 1553/54) und Miguel de Cervantes (Novelas ejemplares, 1613, Exemplarische Novellen) setzten durch den Verzicht auf eine Rahmenhandlung neue Akzente. Darüber hinaus entfernte sich Cervantes in einem Teil seiner Novellen mit satirischen Sittenbildern und realistischen Gesellschaftsschilderungen entschieden von der italienischen Tradition. Die Rezeption seiner Werke in Deutschland gegen Ende des 18. Jahrhunderts wirkte stark auf die Novellistik der Romantik.

Nach Vorläufern in Humanismus, Barock und Aufklärung begann mit Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795), nach dem Vorbild Boccaccios als Zyklus mit Rahmenhandlung angelegt, die Geschichte der deutschen Novelle. Auch Christoph Martin Wieland folgte mit dem Hexameron von Rosenhain (1805) der italienischen – und französischen – Tradition. Bis hin zu Gottfried Kellers Sinngedicht (1881) entstanden weitere Novellenzyklen, doch trat seit der Romantik und den Novellen Heinrich von Kleists die Einzelnovelle immer stärker in den Vordergrund. Auch Goethes Novelle (1828) gehört in diesen Zusammenhang. Neue Ausdrucksmöglichkeiten gewann die Novelle in der Romantik durch die Integration märchenhafter, phantastischer und dämonischer Elemente (so bei Ludwig Tieck, Achim von Arnim, Clemens Brentano, Friedrich de la Motte Fouqué, E. T. A. Hoffmann, Adelbert von Chamisso, Joseph von Eichendorff). Nach der Novellistik der Biedermeierzeit (Annette von Droste-Hülshoff, Jeremias Gotthelf, Franz Grillparzer, Eduard Mörike, Adalbert Stifter) erreichte die deutsche Novelle im Realismus ihren künstlerischen Höhepunkt (Gottfried Keller, Theodor Storm, Conrad Ferdinand Meyer). Im Kontext des Naturalismus beginnt mit Gerhart Hauptmanns „novellistischer Studie" Bahnwärter Thiel (1888) die Geschichte der modernen, Anregungen von Émile Zola, Anton Tschechow, Guy de Maupassant und anderen aufnehmenden deutschen Novelle, die sich über Autoren wie Thomas und Heinrich Mann, Arthur Schnitzler oder Alfred Döblin bis zu Günter Grass und Martin Walser als äußerst fruchtbar erwiesen hat. Charakteristisch für die Entwicklung im 20. Jahrhundert ist eine Erweiterung der formalen Ausdrucksmöglichkeit, nicht zuletzt durch eine Annäherung an andere Formen des Erzählens.


Verfasst von:
Volker Meid