Taine, Hippolyte Adolphe

Taine, Hippolyte Adolphe (1828-1893), französischer Historiker und Kritiker, einer der führenden Vertreter des Positivismus. Taine wurde in Vouziers in den Ardennen geboren und studierte am Collège Bourbon und an der École Normale in Paris. Sein Buch Les Philosophes classiques du XIXe siècle en France (Klassische französische Philosophen des 19. Jahrhunderts, 1857; überarbeitete Auflage 1868), in dem er den eklektischen Ansatz des französischen Philosophen Victor Cousin angriff, entwickelte einen Plan zur Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden in der Untersuchung des Wesens und der Geschichte der Menschheit. Aus diesem Ansatz entwickelte sich in der Literatur gegen Ende des Jahrhunderts die Schule des Naturalismus. In seiner Histoire de la littérature anglaise (1863-1864, 14 Bde., Geschichte der englischen Literatur) legte Taine seine Theorien dar, indem er die physikalischen und psychologischen Faktoren analysierte, die für die Entwicklung der englischen Literatur verantwortlich waren.

Taine erhielt 1864 eine Professur für Kunst und Ästhetik an der École des Beaux-Arts und wurde 1878 in die Académie française gewählt. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er damit, an seinem unvollendeten Werk Les origines de la France contemporaine (1875-1894, 3 Bde., Die Entstehung des modernen Frankreich) zu schreiben. Darin versuchte er, die Ursachen für die extreme Zentralisierung der politischen Macht zu finden, die er für die politische Instabilität des modernen Frankreich verantwortlich machte.


Theater

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EINLEITUNG

Theater (von griechisch théatron: Schauplatz), Bezeichnung für die Gesamtheit der darstellenden, auf szenischem Ablauf basierenden Künste, sei es mittels Puppen (Puppentheater, Kasperltheater, Schattentheater, schwarzes Theater), sei es mit Hilfe von Schauspielern, Tänzern oder Sängern (Pantomime, Drama, Oper, Operette, Ballett, Musical, Vaudeville etc.). Des Weiteren wird der zur Aufführung notwendige technische, organisatorische bzw. dramaturgische Apparat als Theater bezeichnet, der zum Umfeld der konkreten Aufführung gehört, wozu auch das Theatergebäude mit Bühnenhaus (Bühne, Maschinerie, Garderobe, Probe-, Betriebs- und Verwaltungsbezirke) und Zuschauerhaus (Zuschauerraum, Foyer, Garderobe, Kassenhalle) gehören. In Deutschland werden Theater von Kommunen, kommunalen Verbänden oder Bundesländern getragen, die sie subventionieren. Daneben gibt es zahlreiche private Einrichtungen. Der Arbeitgeberverband der deutschen Theater ist der Deutsche Bühnenverein e. V. Auf Arbeitnehmerseite engagiert sich die dem DGB angeschlossene Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger.

Der Theaterapparat dient der künstlerischen Umsetzung von Inszenierungen, wobei die Theateraufführung zumeist als Komplex verschiedener (musikalischer, dramaturgischer, sprachlicher, optischer) Elemente funktioniert. Verantwortlich für die Konzeption einer Inszenierung ist der Regisseur, der die Schauspieler anleitet, die vom Bühnenbildner geschaffene Kulisse bestimmt (siehe Bühnenbild), Kostüme und Requisiten aussucht, den Einsatz technischer Effekte (Licht, Ton etc.) festlegt und das Arrangement von allem überwacht. Ihm steht als wissenschaftlicher Berater der Dramaturg zur Seite, der außerdem den Dramentext bearbeitet, an der Konzeption des Spielplans mitwirkt (hauptverantwortlich hierfür und für den Betrieb generell ist der Intendant) und Bühnenbildner sowie Kostümbildner unterstützt. Ab der Premiere sorgt der Inspizient für einen reibungslosen Ablauf, während der Souffleur Schauspielern über Textschwächen hinweghilft. Tragende Funktionen im Musiktheater haben der Dirigent, die musikalische Einstudierung und die Ballett- bzw. Chorleitung. Zur Verwaltung eines Theaters gehören der Direktor, die Einkaufs-, Wirtschafts- und Hausabteilung, Abonnenten- und Personalbüro, Hausverwaltung sowie Betriebs- und Kartenkassen. Siehe auch Theatermusik, Theaterpreise, Deutsches Theater.

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GESCHICHTE

Anfänge der theatralischen Darbietung im europäischen Kulturraum liegen vermutlich im dionysischen Kult des antiken Griechenland: Die hier zu Ehren des Gottes Dionysos stattfindenden Feste beinhalteten Sing- und Tanzspiele, aus denen sich die Tragödie und später die Komödie (einschließlich ihrer populären, derb-komischen Variante, dem Mimus) entwickelten (Friedrich Nietzsche: Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, 1872). Dabei traten der oder die Darsteller einem Chor entgegen, der das Geschehen auf der Bühne (zunächst der Marktplatz – die Agora – von Athen) mit gesungenen oder gesprochenen Kommentaren versah (der Chor verschwand nach Verblassen des Dionysos-Kultes in hellenistischer Zeit). Im 5. Jahrhundert dann entstand ein eigens hierfür errichtetes Dionysos-Theater, dem weitere, mit aufsteigenden Sitzreihen für bis zu 40 000 Menschen versehene Bauten folgten. Bestandteile der Bühne waren hierbei das Bühnenhaus (Skene) und eine ovale Spielfläche, die sich aus dem Tanzplatz vor dem Dionysostempel entwickelte (Orchestra). Letztere war mit der so genannten Periakte verziert, einem dreiseitig bemalten, drehbaren Element. Die Schauspieler, die neben Dialogpassagen auch Tanz- und Singdarbietungen brachten, trugen Masken, farbige Kostüme und so genannte Kothurne, mit immer höheren Sohlen ausgestattete Halbstiefel (in römischer Zeit erreichte die Sohlenhöhe bis zu 20 Zentimeter). Durch die Übernahme griechischer Kulturelemente kam auch die attische Komödie nach Rom. Zuvor hatte hier bereits die so genannte Atellane existiert, ein wohl vom griechischen Mimus beeinflusstes, derb-obszönes Bauernspiel mit festgelegtem Figurenrepertoire. Eine beliebte architektonische Theaterform der Zeit war das Amphitheater.

Das Theater des Mittelalters wurde vor allem durch das geistliche Spiel (dem Osterspiel, später dem Passionsspiel) bestimmt. Daneben gab es vereinzelt Ausprägungen weltlichen Theaters (Neidhartspiele, Fastnachtsspiele, Farcen), zum Teil mit stark regionaler Ausrichtung (so das Abele Spelen in den Niederlanden). Dieses Theater wurde von fahrenden Ensembles auf öffentlichen Plätzen oder der so genannten Wagenbühne aufgeführt, bei der die einzelnen Szenen auf Wagen am Publikum vorbeifuhren. Außerdem entwickelten sich die Simultan-Raum-Bühne, bei der Szenen an verschiedenen Orten aufgeführt wurden, und die Simultan-Flächen-Bühne, bei der die Schauplätze auf einem großen Areal nebeneinander aufgebaut waren.

Zum Ausklang des 15. Jahrhunderts entstanden zahlreiche national gefärbte Theaterformen, von denen das höfische Theater Italiens (Festspiel- und Fürstenlobpraxis, Intrigendramen, Verwechslungskomödien etc.) und das dortige Volkstheater (Commedia dell’arte) wegen der Vielfältigkeit seiner Darbietungsformen herausragte. Das italienische Theater prägte das des restlichen Europa stark. Während des Humanismus wurde die römische Komödie der Antike neu belebt und als Aufführungsort die Terenz- oder Badezellenbühne entwickelt, deren Hintergrund mit aus Vorhängen versehenen Türen stilisiert die Häuser der Figuren andeutete. Daneben etablierte sich die noch heute weitgehend gebräuchliche Einortbühne, für die im 17. Jahrhundert erstmals eigene Theatergebäude errichtet wurden. Ihre Architektur war bereits auf eine strikte Trennung von Bühnen- und Zuschauerraum ausgerichtet, wobei nur noch ein Teil der Bühne vom Publikum eingesehen werden konnte (Guckkastenbühne). Giovanni Battista Aleotti (1546-1636) erfand für das damals größte Theater der Welt, das Teatro Farnese in Parma (1618/1619), die Kulissenbühne, bei der mit Hilfe perspektivischer Darstellung (siehe Perspektive) Raumillusion entstand. Durch die italienische Oper des Barock und ihre bühnentechnischen Innovationen wurde dieser illusionistische Effekt noch erhöht.

Gegenüber der relativen Offenheit des italienischen Theaters war das französische bis zum 18. Jahrhundert stark rationalistisch geprägt und unterwarf die Aufführungspraxis sowie die Bühnen- und Kostümgestaltung einem strengen Regelkanon. 1680 entstand mit der Comédie-Française das französische Nationaltheater, gegen dessen stilisierenden Inszenierungsstil das 1887 von André Antoine eröffnete Théâtre-Libre bewusst ein Gegengewicht schuf. Als Volkstheater des 18. Jahrhunderts brach das satirische Jahrmarktstheater Théâtre de la Foire mit den formalen Reglementierungen: Aus ihm entwickelte sich die Opéra comique. Unter dem Schauspieler und Theaterreformator François-Joseph Talma kam das historisch authentische Kostüm und eine „realistische" Bühnendekoration an die Comédie Française.

Im England der Renaissance erlebte das Theater unter der Regentschaft Elisabeths I. einen Höhepunkt (Shakespeare-Theater, elisabethanisches Theater). Nach 1576 wurden feste Theaterhäuser mit einer nackten Podiumsbühne (Shakespeare-Bühne) errichtet. Aus der grotesk-bizzaren Clownsfigur des Pickleharring (Pickelhering), die englische Wanderbühnen im 17. Jahrhundert auf Tourneen nach Deutschland brachten, entwickelte sich hierzulande die lustige Person des Hanswurst. Diese wurde durch die Neuerungsbestrebungen von Friederike Caroline Neuber und Johann Christoph Gottsched im 18. Jahrhundert allegorisch wieder aus dem Theater verbannt.

Im 18. Jahrhundert wurde auch in Deutschland (erstmals 1767-1769 in Hamburg) versucht, ein Nationaltheater zu begründen, das der kulturellen, aber auch politischen Identität des Staates über Standesschranken hinweg dienen sollte. Eine Gegengründung, welche die Landesinteressen der Fürsten stützen sollte, stellte das Hoftheater dar. Die wichtigsten Hoftheater entstanden 1775 in Gotha, 1776 in Wien (als Burgtheater später Nationaltheater), 1777 in Mannheim und 1786 in Berlin bzw. Weimar. Letzteres machte Goethe unter seiner Leitung (1791-1817) zum Musterbeispiel für das ganze deutschsprachige Theater der Folgezeit: Hier wurden u. a. die meisten Dramen Friedrich Schillers uraufgeführt. Auch traten immer mehr Schauspielerpersönlichkeiten in den Mittelpunkt. Eine wichtige Neuerung bedeutete Karl Friedrich Schinkels Reliefbühne, die dem Aufführungsraum zugunsten einer Verbreiterung seine Tiefe nahm. Im 19. Jahrhundert dann entstanden – etwa durch den Regisseur und Intendanten am Karlsruher Hoftheater Eduard Devrient (1801-1877), den Burgtheaterleiter Heinrich Laube (1806-1884) und die Hoftheatertruppe Herzog Georgs II. von Sachsen-Meiningen (die so genannten Meininger) – szenische Leitung und Regieführung im heutigen Sinn. Darüber hinaus forderte das erstarkende Bürgertum immer eindringlicher eigene Repräsentationsbühnen (nach 1918 dann wurden die Hoftheater endlich in Staats- oder Stadttheater verwandelt). Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten sich die noch heute gebräuchlichen Bühnensysteme, darunter die Dreh-, Schiebe- und Versenkbühne, die es ermöglichten, durch bewegliche Mechanismen den zeitraubenden Auf- und Abbau der Requisiten auf der Einortbühne zu vermeiden.

Einen den Theorien des Naturalismus adäquaten Aufführungsstil etablierte Otto Brahm mit Hilfe der Illusionsbühne, die versuchte, äußere Wirklichkeit perfekt nachzubilden. Für die Umsetzung der Dramen des Expressionismus erprobte Max Reinhardt neue Methoden, darunter die so genannten Arenaspiele in der Münchner Ausstellungshalle oder im Wiener Zirkus Renz. Erst durch Reinhardts Arbeit konnte sich das Regietheater endgültig durchsetzen. Erwin Piscator konzipierte die mehrgeschossige Simultanbühne, bei der – oftmals mit Unterstützung von Massenszenarien und kinematographischen Effekten (Filmprojektionen etc.) – das zumeist politisch agitierende Geschehen gleichzeitig ablaufen konnte (Vorläufer für diese Form des revolutionären Agitproptheaters waren Wsewolod Mejerchold und Wladimir Majakowskij; politisches Theater). Ziel war es mithin, an die Gefühle des Betrachters zu appellieren, um die Massen zu bewegen. Demgegenüber wollte Mitte der zwanziger Jahre Bertolt Brechts episches Theater mit seiner Abkehr von den gängigen Inszenierungsstrategien die Einfühlung des Zuschauers gerade verhindern. Der Schauspieler war angehalten, die Rollenhaftigkeit seiner Tätigkeit herauszustellen, eine Distanz zu ermöglichen und somit die Vernunft des Betrachters als Theaterform des „wissenschaftlichen Zeitalters" aktiv miteinzubeziehen. Demgegenüber leugneten das absurde Theater und Antonin Artauds „Theater der Grausamkeit" die Möglichkeit einer Beeinflussung mittels des Intellekts, auch wenn Artaud als Kulturrevolutionär die Neuorientierung des politischen Theaters der sechziger und siebziger Jahre deutlich prägte (Living Theatre).

Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers 1933 und der Vertreibung zahlreicher Schauspieler, Regisseure und Dramatiker wurde das Schauspielhaus Zürich zum Refugium für in Deutschland verbotene Theaterstücke. Nach dem Krieg wurden in der Bundesrepublik vor allem Stücke des Existentialismus (Jean-Paul Sartre und Albert Camus) aufgeführt. Die Theaterarchitektur entfernte sich immer mehr von einem Guckkasten-Konzept. Große, offen strukturierte Hallengebäude ermöglichen höhere Flexibilität in der Aufführungspraxis.

Siehe auch japanisches Theater, indisches Theater, südostasiatisches Theater.

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Thurn und Taxis

Thurn und Taxis, Fürstendynastie, die durch ihr Engagement im Postwesen zu Macht und Reichtum gelangte.

Grundlage für den Aufstieg des Hauses waren die zu Anfang des 16. Jahrhunderts in ganz Europa verstreuten Familienmitglieder, die jedoch gemeinsam agierten und eine zuverlässige, internationale Postorganisation aufbauten. Kaiser Maximilian I. fand in Franz von Taxis einen kongenialen Partner, der mit seinen Postreitern fürstliche, aber auch private Post im ganzen Heiligen Römischen Reich und Spanien zustellte. 1518 erhielt die Familie aufgrund eines königlich-spanischen Privilegs das Recht, das königliche Wappen zu führen. Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Post in den deutschen Landen zu einem Reichsregal; bald darauf wurde der Familie Thurn und Taxis die Erblichkeit des Generalpostmeisteramtes zuerkannt. Durch ihr Quasimonopol im Postwesen erlangte die Dynastie politischen Einfluss und enormen Reichtum. 1695 stieg sie sogar in den Reichsfürstenstand auf. Im 18. Jahrhundert ließ sich die Familie zunächst in Frankfurt/Main, dann in Regensburg nieder. Nach der Auflösung des deutschen Reiches 1806 bauten die einzelnen deutschen Staaten eigene Postorganisationen auf. Die Familie Thurn und Taxis verlor ihr Postmonopol, wurde aber großzügig entschädigt: In Bayern erhielt sie 1812 das ehemalige Kloster Sankt Emmeram, das zur Residenz umgewidmet wurde. In Preußen zahlte der Staat eine Entschädigung von drei Millionen Talern an die Familie für die Abtretung der dortigen Postorganisation. Prominenteste Vertreterin der Familie ist heute Fürstin Gloria von Thurn und Taxis.

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Tragikomödie

Tragikomödie, dramatische Mischform aus Tragödie und Komödie, in der die beiden Elemente des Tragischen und Komischen nicht unvermittelt nebeneinander stehen, sondern sich durchdringen und aufeinander verweisen. Der Begriff wurde zuerst von Plautus in seiner Vorrede zu Amphitryon gebraucht. Aristoteles bestimmte die Tragikomödie als ernstes Spiel mit heiterem Ausgang. Bis zum Theater der Renaissance und des Barock wurde mit dem Begriff ein Genre umschrieben, in dem das Nebeneinander von Personen hohen und niederen Standes eine Simultaneität von Tragischem und Komischem erlaubt. Diese Voraussetzungen gelten für die meisten tragikomischen Stücke im genannten Zeitraum. Als Höhepunkte des Genres gelten Molières Misanthrope und Tartuffe sowie William Shakespeares Troilus and Cressida.

Im nachklassischen Deutschland stehen Heinrich von Kleists Amphitryon und Der zerbrochene Krug, Georg Büchners Woyzeck sowie Christian Friedrich Hebbels Trauerspiel in Sizilien der Tragikomödie nahe. Das Tragikomische entsteht hier aber aus dem Missverhältnis des tragischen Geschicks mit den moralischen Ursachen. In der modernen Dramatik steigert sich die Verbindung von Erhabenem und Lächerlichem oft zur Groteske, so etwa bei Frank Wedekind, Friedrich Dürrenmatt oder Thomas Bernhard.


Verfasst von:
Andreas Nohl

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Tragödie

Tragödie (griechisch, zu trágos: Bock und odé: Gesang), älteste und neben der Komödie wichtigste europäische Dramengattung, bei der das tragische Moment, zumeist die (unlösbare) Verstrickung des Menschen in sein Schicksal, den Verlauf der Handlung bestimmt. Die Tragödie entwickelte sich aus den im antiken Griechenland abgehaltenen kultischen Spielen zu Ehren des Gottes Dionysos (siehe Theater). Dabei stand, getreu der griechischen Mythologie, zumeist die Übertretung göttlicher Gesetze (Hybris) im Zentrum des Interesses. Trotz ihrer vielfachen Wandlung im Lauf der Jahrhunderte blieb die existentielle Grundproblematik der Tragödie (die Frage nach Schuld und Sühne, Freiheit und Zwang, Ich und Welt etc.) im Verlauf ihrer Entwicklung bestehen.

Heute wird der Begriff nahezu ausschließlich auf Theaterstücke bis zum 19. Jahrhundert – also auf das Drama in seiner klassischen Form bis hin zum bürgerlichen Trauerspiel bzw. teils bis zum naturalistischen Tendenzstück – angewandt. Seit der Moderne, die klare Gattungsbestimmungen sprengte, haben sich immer stärker Mischformen zwischen Tragödie und Komödie (Groteske, Tragikomödie, absurdes Theater etc.) etabliert.

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Trauerspiel

Trauerspiel, im weiteren Sinn die deutsche Bezeichnung für Tragödie und in dieser Hinsicht neben der Komödie bzw. dem Lustspiel eine der Hauptgattungen des Dramas; im engeren Sinn Bezeichnung für eine spezifisch christliche Form des Dramas, bei dem nicht Tragik, sondern Trauer den Gegenstand der Darstellung bildet.

Der Begriff Trauerspiel ist erstmals 1628 bei Martin Opitz belegt, und zwar als Übersetzung für den Begriff Tragödie. Die synonyme Verwendung der beiden Begriffe wird in der Folgezeit weitgehend beibehalten. In diesem weiter gefassten Sinn konstituiert sich das Trauerspiel durch eine Konfliktsituation zwischen Mensch und Schicksal, zwischen gleichberechtigten Werten oder zwischen widerstreitenden Leidenschaften. Das Tragische liegt, zumindest in den klassischen Formen des Trauerspiels, nicht schon in dem Untergang des Helden an sich begründet, sondern, wie Peter Szondi schreibt, „darin, dass der Mensch auf dem Weg untergeht, den er eingeschlagen hat, um dem Untergang zu entgehen".

Von der Komödie bzw. vom Lustspiel unterscheidet sich das Trauerspiel hinsichtlich der moralischen Qualität der Figuren, des Redestils, des Stoffes und des Dramenschlusses. Vor Beginn des bürgerlichen Trauerspiels lag ein weiteres Unterscheidungskriterium in der Ständeklausel. Hauptphasen bzw. -formen des Trauerspiels sind die Renaissance (vor allem vertreten durch Calderón de la Barca und die elisabethanische Rachetragödie, innerhalb derer William Shakespeare eine besondere Stellung einnimmt), das deutsche Barock, die klassische französische Tragödie, das bürgerliche Trauerspiel, die deutsche Klassik sowie das europäische Drama gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Im 20. Jahrhundert tritt zunehmend eine Vermischung von Trauerspiel und Komödie ein.

Den bis heute bedeutendsten Versuch einer begrifflichen Unterscheidung von Tragödie und Trauerspiel bildet Walter Benjamins kunstphilosophische Abhandlung Ursprung des deutschen Trauerspiels (entstanden 1925, erschienen 1928), in der antike Tragödie und barockes Trauerspiel einander entgegengesetzt werden. Benjamin wendet sich gegen Versuche einer zeitlos gültigen Bestimmung der Tragödie, wie sie vielfach im Anschluss an die Poetik des Aristoteles unternommen wurden, und geht statt dessen von einer geschichtlichen Bedingtheit des Tragischen aus. Konstitutiv für die griechische Tragödie ist nach Benjamin der Mythos bzw. die Auseinandersetzung mit der „dämonischen Weltordnung". Im tragischen Opfertod überwinde der Held zwar das Schicksal, indem er durch seine sich im Schweigen bekundende Auflehnung die göttliche (dämonische) Weltordnung entkräfte, zum anderen sei damit aber nicht eine Durchbrechung des Mythos insgesamt vollzogen. Dem Opfertod ist somit eine Zweideutigkeit eigen, sofern sich nämlich im tragischen Helden einerseits ein neues Bewusstsein ankündigt, andererseits aber die mythische Ordnung immer noch Macht behält. „… in der Tragödie besinnt sich der heidnische Mensch, dass er besser ist als seine Götter, aber diese Erkenntnis verschlägt ihm die Sprache, sie bleibt dumpf."

Setzt die antike Tragödie ein kosmologisches Weltbild voraus, bei dem das Göttliche nicht als ein Jenseits, sondern als eine (wenn auch dämonische) diesseitige Ordnungsmacht erscheint, so gründet das barocke Trauerspiel in einer Welt restloser und damit sinnentleerter Säkularisierung, einem radikalen Bruch zwischen diesseitiger Vergänglichkeit und jenseitiger Ewigkeit. Gegenstand des barocken Trauerspiels ist nach Benjamin nicht mehr der tragische Held, sondern die Geschichte, und zwar als Verfallsgeschichte im Sinn einer erlösungsbedürftigen Trümmerstätte, der es im Gegensatz zu mittelalterlichen Geschichtsvorstellungen an Heilsgewissheit fehlt. Benjamin bezeichnet mit dem Begriff Trauerspiel daher „nicht so sehr das Spiel, das traurig macht, als jenes, über dem die Trauer ihr Genügen findet: Spiel vor Traurigen". Ihren angemessenen Ausdruck findet das durch Melancholie geprägte diskontinuierliche Geschichtsverständnis des barocken Trauerspiels in der Allegorie. In dieser bekundet sich einerseits die Entrissenheit der Dinge gegenüber ihrem natürlichen Zusammenhang, ein Bruch zwischen Ding und Bedeutung, andererseits aber bietet das Verfahren der Allegorie auch die Möglichkeit, die Dinge in einen neuen, wenngleich heterogenen Zusammenhang zu stellen.

Das barocke Trauerspiel bildet für Benjamin einen wichtigen Bezugspunkt zur Deutung der Moderne, weshalb er auch den bis weit ins 19. Jahrhundert hineinreichenden Versuchen einer Wiederbelebung der klassisch-antiken Tragödienkonzeption ablehnend gegenübersteht.


Verfasst von:
Dietmar Götsch

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Traumdichtung

Traumdichtung, epische, lyrische oder dramatische Dichtung, in der Träume als eine Gegenwelt zur Wirklichkeit fungieren oder als Sphäre der Berührung des Menschen mit metaphysischen Mächten das Zentralmotiv bilden. Traditionsbildend für die europäische Traumdichtung moralisch-didaktischen, philosophischen, theologischen oder politischen Inhalts war Ciceros Somnium Scipionis (in De re publica, Buch VI, 54 v. Chr.) und der minnedidaktische Roman de la Rose von Guillaume de Lorris (um 1230). Im Genre der scherzhaften Traumdichtung fand Lukians menippeische Satire Der Traum oder Der Hahn (163 n. Chr.) viele Nachahmungen, ebenso die moralsatirisch-zeitkritischen Suenos (1627) des Francisco de Quevedo, die wiederum mit der seit frühchristlicher Zeit tradierten visionären Traumdichtung wie Der Hirt des Hermas aus dem 2. Jahrhundert, der Visio Wettini von Wahlafrid Strabo aus dem 9. Jahrhundert oder Dante Alighieris Divina Commedia (1307-1321, Die göttliche Komödie) in Zusammenhang stehen. Die Literatur, in welcher der Traum als stofflich-thematisches und strukturbildendes Element z. B. als Mittel der Vorausdeutung, der Kritik, als Rahmen oder als psychologisierender Indikator fungiert, ist nahezu unüberschaubar. Zu den berühmtesten Werken zählen Calderóns Versdrama Das Leben ein Traum (1634/35), Grillparzers dramatisches Märchen Der Traum ein Leben (1834), Novalis’ Romanfragment Heinrich von Ofterdingen (1802), August Strindbergs Schauspiel Ein Traumspiel (1902) und Arthur Schnitzlers Traumnovelle (1926), die ein literarisches Pendant zu Sigmund Freuds revolutionärer Traumdeutung darstellt. Besonders wichtig wurde Traumdichtung im Symbolismus und im Surrealismus. Weitere zentrale Beispiele bzw. Spielarten sind Fjodor M. Dostojewskijs Erzählungen Onkelchens Traum bzw. Der Traum eines lächerlichen Menschen und Günter Eichs Träume.


Verfasst von:
Cornelia Fischer

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